quarta-feira, 11 de maio de 2011

Alocução de Walter Carlos Schünemann - 15 de maio de 1969

Ansprache Walter Carlos Schünemann


Liebe Verwandten!

Ich möchte nun alle herzlich willkommen heissen, alle die hier wohnhaft sind und diejenigen, die aus den verschiedensten Gegenden unseres Staates hier herkamen, und gleichzeitig möchte ich auch Dankwörte an meinem Grossvater richten, auf dessen Bitte und Anregung hin diese Hundertjahrgedenkfeier heute stattfindet.

Wir werden anschliessend durch einen Sprechchor und einen Singchor kurz die Geschichte der Familie Schünemann darstellen: Herkunftort, Einwanderung nach Brasilien und die ersten Siedlungen im Staate RGS: Paraiso do Sul und Cadeado heute Augusto Pestana.

Als Nachkomme von Helmuth Schünemann möchte ich nun, nach 100 Jahren seiner Ankunft in Brasilien, zusammen mit seinem Bruder Rudolf, auf die Bedeutung unseres heutigen Zusammenseins hinweisen. Betrachten wir den hundertjährigen Verlauf der Familiengeschichte, so kommen wir auf den Gedanken des NEUWERDENS, der ständigen Neugestaltung des Lebens: die Vorfahren verlassen die alte Heimat und wenden sich einer neuen Heimat zu. Aber auch die ersten Siedlungen im neuen Lande werden allmählich zurückgelassen und weiter geht's, andere Welten zu erschliessen. Und so wie jede Blüte zur Frucht strebt, und jeder Morgen sich nach dem Abend sehnt, so kennzeichnet der Wandel die Familiengeschichte, das ständige Treiben nach dem Neuen, nach dem ewigen Werden. Und das erweist sich als das MENSCHLICHE selbst, das ewige Sehnen nach dem Leben, nach dem Bewusstwerden des Menschensinns in dem Strom des Lebens.

Nicht das Festhalten an der Vergangenheit, nicht die Einkapselung in der beschränkten Welt der Vergangenheit Tradition ist dem wahren Menschen eigen. Die Tradition zeigt sich nur als Leitmotiv für den Weg in die Zukunft, nicht als Zufluchtsstätte aus der Gegenwart in die Vergangenheit. Folglich dient die Familiengeschichte uns als Grundlage unseres Bewusstwerdens in der Geschichte, in der brasilianischen Geschichte.

Das Überleben in den Kindern führt das väterliche Erbe in seiner Wesenheit fort, wird aber immer wieder durch den kulturellen, geschichtlichen Hintergrung, in dem ewigen Trieb zum Wandel, durch neue Ansichten überprüft. Denn sobald wir einem Lebenskreise eingewohnt sind, so droht das Erschlaffen und das Veraltern. Doch der Reiz des Neuen, die Hoffnung auf eine menschliche Gestaltung der Lebensbahn treibt immer wieder nach Zeugung, nach Geburt. Und jeder neuer Anfang hat einen Zauber, der uns schützt und der uns hilft zu leben und so die schwere Bahn in eine herrliche Lebensbahn verwandelt.

Der Mensch ist keine feste und dauernde Gestaltung,
er ist vielmehr ein Versuch, ein dauernder Übergang zur Menschenwerdung. So kann der Mensch auch nicht seine Vergangenheit in versteinten Weltanschauungen mumifizieren und sie ständig als Grundzug der Gegenwart und der Zukunft erhalten. Jede Geburt bedeutet Trennung, und jede Trennung eine Absonderung vom Alten und ein Streben nach dem Durchbruch.


Auf Grund des ständigen Treibens unserer Familie
seit der Ankunft der Vorfahren haben wir einen geschichtlichen Hintergrund gebildet und im Spiegel der Geschichte blicken wir hinaus über das nun Gegenwärtige. Der Verlang der zukünftigen Geschichte im Ganzen gesehen ist uns völlig ungewiss. Aber auf Grund unseres geschichlichen Bewusstseins werden wir immer wieder angeregt zur direkten Teilnahme an den weiteren Verlauf. Weil wir nicht wissen wie die Zukunft sein wird, so dürfen wir doch hoffen, indem wir tuen, was wir können, der Zukunft mit Festigkeit entgegentreten zu können, im Denken und im täglichen Handeln, aus der Gewissheit unseres Ursprungs.


Das aber bedeutet, dass wenn wir Geschichte und Ge­genwart überblicken, wir nicht nur unser Wissen befriedigen, nicht nur unsere Anschauung von Grösse sind Niedrigkeit des Menschen und von der Ausdauer seiner Kräfte und seines Willens erweitern. Das WESENTLICHE ist, dass die Vergangenheit, die Geschichte, das Erbe der Vorfahren in uns die VERANTWORTUNG weckt zum zukünftigen Handeln. Die Geschichte ist aber auch immer Gegenstand unseres Urteils. Und wir müssen uns entscheiden, wen wir folgen und was wir verwerfen. So sind wir verantwortlich zum Mitbestimmen einer Zukunft aus dem durch unsere Geschichte Gegebenen. Wir sind verantwortlich dafür, welche Aufgaben wir als die unsrigen erkennen.


Und in dem Masse als wir durch das Bewusstsein unserer Aufgabe zu uns selbst kommen und in dem Grunde der Dinge blicken, ist das Erbe aus der Vergangenheit unser Leitfaden. Die Vergangenheit hat die Unumgängliche Brücke, über die wir durch unser eigenes Tun und erfahren zu dem gelangen, was eigentlich des Menschen Wesenheit ist. Ohne unser Bewusstsein in der Geschichte haben wir keinen zugang zu dem hin, was wir sind. Ohne Vergangenheit können wir nicht von dem Grunde hören, dem wir entstammen und der uns trägt.

Eng mit dem Gedanke der Verantwortung ist auch der Gedanke der Erziehung verbunden. Erziehen bedeutet in einem höheren Sinn dem Mitmenschen Verantwortung übertragen. Und Erziehung ist nur von dem Augenblick an möglich, an dem wir uns in unserem Menschsein erkannt haben das menschliche  Dasein uns als geschichtlich bewusst geworden ist.


Aus Bewusstwerden und Erkenntnis unserer Vergangenheit und aus Erziehung unser selbst und der Nachkommen lernen wir also die Verantwortung zu übernehmen, unsere Zukunft zu gestalten. Und zu dieser Zukunftsgestaltung gelangen wir nur indem wir uns immer wieder der neuen Menschlichkeit hingeben können, die grundsätzlich in uns selbst ihre Möglichkeit zur Entfaltung bietet.

Und heute, an der Hundertjahrgedenkfeier der Einwanderung unserer Vorfahren in Brasilien, ein Land das unsere Väter aufgenommen hat und dem gegenüber wir Verantwortung tragen, gedenken wir auf Grund unseres menschlichen Bewusstseins, der Väter innigste Sehnsucht, der Väter ruhmvolle Lebzeiten, "die wie alte Lieder sind - Man hört sie an und keiner spricht und jeder lauscht und jeder sinnt hernach bis in die Nacht."

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